Mehr Fingerspitzengefühl

 Es ist unbestritten: Streitgespräche und hitzige Debatten gehören zu einem gesunden Klima an unseren Hochschulen. Die Freiheit von Forschung und Lehre ist in einem demokratischen Rechtsstaat wie Deutschland ein ebenso hohes Gut wie die freie Meinungsäußerung, die Unabhängigkeit der Medien und die Tatsache, dass jeder Parlamentarier Entscheidungen nach seinem Gewissen fällen darf. Doch mit der Einladung des umstrittenen australischen Philosophen Peter Singer (72), einem Atheisten mit jüdischen Wurzeln, der durch provokante Vergleiche die Gesellschaft spaltet, hat die Fakultät für Kulturwissenschaften, Fach Philosophie, an der Universität Paderborn eine rote Linie überschritten und provoziert selbst nach Kräften. Denn sie weiß sehr genau, dass Peter Singer wegen seiner aus unserer christlichen Sicht verabscheuungswürdigen Thesen schon häufig öffentlich beschimpft und auch von renommierten Universitäten als Redner wieder ausgeladen worden ist.

Dazu erklärt der Paderborner Landtagsabgeordnete Daniel Sieveke: Ich muss mich ernsthaft fragen, warum ein Podiumsteilnehmer und Redner im Paderborner Kolloquium zur Philosophie verpflichtet wird, der sich als Tierrechtler zwar einen Namen gemacht hat, aber gleichzeitig schwerbehinderten Frühgeborenen kein unbeschränktes eigenes Recht auf Leben einräumt? Dieser Redner, der seine Aussagen inhaltlich nie infrage gestellt oder gar öffentlich zurückgenommen hat, ist ein Schlag ins Gesicht von Eltern behinderter Kinder, von Menschen, die sich und Unversehrtheit menschlichen Lebens auch schon vor der Geburt über ihren Glauben definieren. Und es ist ein Schlag ins Gesicht der politischen Parteien, wie gerade auch die CDU, die eben diesen Schutz des Lebens in den Mittelpunkt ihrer Politik für unsere Gesellschaft stellen. Und ich erlaube mir ganz persönlich diesen Hinweis auf rote Linien gerade wegen der jüngsten Debatten bezüglich des Rezo-You-Tubers vor der Europawahl. Auch hier fehlte als Regulativ wohl das nötige Fingerspitzengefühl im Umgang miteinander.
Wenn künftig einmal Holocaustleugner, erklärte Antisemiten oder Hassprediger jedweder Couleur Einlass begehren als Gastredner in die Hörsäle, dann ist das Geschrei groß, aber wer sollte es ihnen unter Verweis auf die hohen Hürden der Freiheit und Forschung verwehren? 


Ich hoffe, dazu wird es nie kommen, und ich wünsche mir deshalb zukünftig etwas mehr Fingerspitzengefühl bei der Auswahl von Gastrednern an unseren Paderborner Fakultäten und eine leitende und lenkende Hand des Präsidiums in solchen Fragen. Provokation ist manchmal wichtig, um auf sich aufmerksam zu machen oder Missstände anzuprangern. Sie ist aber stets dann zu verurteilen, wenn allgemein anerkannte ethische Grundsätze, wie der Schutz des Lebens, infrage gestellt werden.

Foto: © Universität Paderborn, Johannes Pauly